Benin - Reisebericht 2016

"Vier Tage vor unserer Abreise veröffentlichte die UN den 4. World Happiness Report, von dem ich in den Medien las. Für diesen wird unter Verrechnung von Daten aus Sozialsystemen der jeweiligen Staaten, aber auch aus Daten von Befragungen über die Selbstwahrnehmung ihrer Bürger, ein Glücks-Index erstellt. Knapp 160 Länder sind dort gelistet - auf dem fünftletzten Platz: Benin. Es ist eines der ärmsten Länder der Welt, das war mir soweit bekannt, aber damit gleichbedeutend eines der Unglücklichsten? Ich packte meinen Koffer und nahm mit: ein paar getrübte Gedanken über diese vermeintliche Korrelation.

 

Einen Tag später, 34 Grad, mitten im lärmenden Chaos des nicht aufhörenden Verkehrsstroms sind die Gedanken bereits vergessen. Zu groß sind die Neugier und Spannung auf das, was noch folgen sollte. Wir sind auf dem Weg zum Dorf des Projektes, Adjadji. Übrigens, bis zur Départementhauptstadt Allada, in der noch für den Verein historische Entscheidungen getroffen werden sollten, auf einer neu geteerten, tadellosen Asphaltdecke, made in China. Einigen staubigen Pisten weiter stehe ich auf einem ein Hektar großen Feld, welches es zu kaufen gilt, damit darauf die neue Kranken- und Geburtsstation von Agromed gebaut werden kann. Leichter gesagt als getan.

Grundstückskauf für eine neue Gesundheitsstation

Nun ist es amtlich: Mit der Unterschrift wird Agromed als neuer Besitzer des Grundstücks eingetragen.
Nun ist es amtlich: Mit der Unterschrift wird Agromed als neuer Besitzer des Grundstücks eingetragen.

Viel Arbeit ging dem Grundstückskauf voraus. Die Eigentümer des Grundstückes und des Zugangsweges wurden ausfindig gemacht, Preise verhandelt, Zivilverträge entworfen, Dokumente besorgt, Kosten kalkuliert und horrende Bearbeitungsgebühren möglichst vermieden. Nicht zu vergessen, die Einhaltung des Mindestabstandes zu nächstgelegenen Krankenstationen im Umkreis. Ein Kauf ohne die beninische Partnerorganisation PASDI bei all den Hürden und der Komplexität? Unmöglich.

 

Ein paar Tage später sitze ich im ausnahmsweise klimatisierten Büro des stellvertretenden Bürgermeisters in Allada. Hier sollen die Kaufverträge im Bürgermeisteramt notariell beglaubigt und Agromed als neuer Eigentümer ins Grundbuch eingetragen werden. Ich erkenne Spannung und Anspannung in den Gesichtern der deutsch-beninischen Partner: Es ist offen, inwieweit das Vorhaben endlich umgesetzt werden kann und vor allem wie schnell. Doch der stellvertretende Bürgermeister sichert, obwohl er viel zu tun zu haben scheint - seinem vielfach klingelndem Handy zufolge eine Menge -, dem Projekt eine hohe Priorität zu. Denn, so sagt er, so ein Projekt zugunsten der Bevölkerung, das könne man nicht aufschieben. Noch bevor die deutsche Delegation wieder weg ist, sollen der Kaufvertrag und die Besitzverhältnisse geprüft werden. In Deutschland, so sagt mir später eine Dame des Nürnberger Amtsgerichts auf Nachfrage, vergehen zwischen der Anfrage nach Vertragsschluss bei ihrer Behörde bis zur Vormerkung im Grundbuch zwei bis vier Wochen.

 

Und im hoch bürokratisierten, korrupten Benin? Drei Tage nach dem ersten Termin folgen alle Unterschriften respektive Fingerabdrücke der Verkäufer bzw. einiger analphabetischer Zeugen. Agromed ist rechtmäßiger, neuer Besitzer, der Grundbucheintrag ist vorgemerkt und wird in die Wege geleitet. Geschafft!

Besuch im Projekt

Impftag für Kleinkinder: Frauen warten mit ihren Kindern im Schatten der Gesundheitsstation
Impftag für Kleinkinder: Frauen warten mit ihren Kindern im Schatten der Gesundheitsstation

Über die Problemstellung „Wie bekomme ich etwas aus dem Hafen?“ wird in Benin so selbstverständlich geplaudert, wie über das Wetter. Denn auch das ist mit vielen Schwierigkeiten verbunden. Wir kaufen ein Auto in genau jenem Hafen, um dem Dorf ein weiteres Transportmittel zu bieten. Und auch hier sollte das Auto bereits einige Tage später für die Gesundheitsstation auf den Straßen unterwegs sein.

 

Bei unserem ersten Besuch im Dorf biege ich um die Ecke der derzeitigen Krankenstation, aus dem Schatten des Vordaches der Station heraus schauen mich unzählige große Augen an, auch kleine große. Es ist Impftag für die Kleinkinder an der Station, Mütter aus dem Dorf haben sich mit ihren Kleinen in schicke, bunte Tücher und Kleider gehüllt und vor der Station versammelt. Ich fühle mich in Anbetracht dieses Farbenspiels grau und underdressed. Ich bin von der Situation beeindruckt, auch darüber, dass keines der Kinder schreit. Besonders friedlich: die einen Tag zuvor geborenen Zwillinge des Dorfchefs. Daneben stehen einige Krankenpfleger in ihrer hellblauen Uniform. Die macht was her, denke ich mir, ein toller Kontrast zum gleißenden, staubigen Hintergrund. Sie scheinen stolz zu sein, dieses Blau zu tragen.

 

Anschließend besichtigen wir die Kranken- und die Geburtsstation. Unweigerlich muss ich diese mit unseren Praxen vergleichen. Dass zwischen dem Lebensstandard dort und hier Welten liegen wird mir in den folgenden Tagen an keinem Beispiel deutlicher. Das Nötigste aber ist vorhanden, etwa Krankenbetten, für 7000 Einwohner etwas wenig, wie ich finde, Moskitonetzte, ein Mikroskop zur Malariaerkennung, ein Ultraschallgerät, ein Gaskühlschrank und einige Medikamente. Die Bilanzen aber, die können wohl mit denen in Deutschland mithalten. Gold wert für eine Entwicklungszusammenarbeit.

 

Wir werden durch Adjadji geführt, mir fällt auf, dass hauptsächlich die Frauen auf den Feldern arbeiten, Wasser holen und schwere Last auf ihren Köpfen balancieren. Es wuseln viele, wirklich viele Kinder durch das Dorf. Überhaupt, im ganzen Land sind junge Leute unterwegs, das rasante Bevölkerungswachstum lässt grüßen. Wir sehen uns die von Agromed aufgegebenen landwirtschaftlichen Gebäude unweit des Dorfes an. Eine Erinnerung daran, wie schwer es ist, ein Projekt interkulturell von Deutschland aus, trotz großer Anstrengungen der beninischen Partner und Freunde, zu steuern.

Ein Dorf engagiert sich

Tanz, Gesang und Ananas als Dankeschön von den “femmes balayeuse“, die auch zukünftig in und um die neue Krankenstation für Sauberkeit sorgen wollen.
Tanz, Gesang und Ananas als Dankeschön von den “femmes balayeuse“, die auch zukünftig in und um die neue Krankenstation für Sauberkeit sorgen wollen.

Zwischen PASDI und Agromed wurde ausgesprochen viel diskutiert. Nicht selten höre ich dabei Sätze, die wie folgt beginnen: „In Benin machen wir das aber anders, und zwar…“. Was aufgrund mancher Meinungsunterschiede folgte, waren hitzige Debatten. Aber dennoch, keiner fällt sich gegenseitig ins Wort, nach einander darf ein jeder seine Argumente vortragen. Und sollte man diesen respektvollen Umgang mal missachten, wird man von anderen Gesprächsteilnehmern daran erinnert. Wieder bin ich schwer beeindruckt. Weniger hitzig, aber nicht minder spannend sind die Äußerungen der Krankenpfleger, die die Möglichkeit haben Agromed ihre Bedürfnisse und Wünsche, wie etwa Urlaubstage, vorzutragen. Und das, obwohl der vorgesetzte Pfleger und die vorgesetzte Hebamme mit anwesend sind, in einem Land hoher Machtdistanz nicht selbstverständlich. Jeder einzelne ist sehr dankbar für die Anstellung, ein Dank, welcher an die Spender von Agromed weitergebeben werden sollte. Aber auch die Hebamme äußert ihre Wünsche, wie etwa ein dichtes, neues Dach. Ein Umstand, der sich dann mit dem Bau der neuen Krankenstation wohl erledigen dürfte.

 

An einem anderen Tag sitzen wir im Stuhlkreis mit den „fegenden Frauen“, die sich in der Mitte singend und tanzend für die klitzekleine Unterstützung bedanken, die sie von Agromed erhalten. Sie werden auch rund um die neue Station für Sauberkeit sorgen, so sagt die Vorsitzende. Ich bin kurz nervös, ob ich ebenfalls meine bisher unentdeckten afrikanischen Tanzkünste auspacken muss, es werden aber nur die Frauen aufgefordert. Neben den Ananas ein ganz wunderbares Dankeschön, im Übrigen mit Ohrwurmgarantie!

 

Ebenfalls nicht auszuschlagen ist die Einladung vom „M. Président“ der Partnerorganisation am letzten Tag. Ich höre draußen die Frauen des Hauses den Maniok stampfen, und zwar just als wir uns hinsetzen. Eine Demonstration der frischen Zubereitung, so lasse ich mir erklären. Weit weg scheint mir das deutsche Essen, darüber unterhalten kann ich mich aber trotzdem: Der älteste Sohn begrüßt mich in perfektem Deutsch. Sechs Jahre lang studierte und lebte er aufgrund eines Offiziersaustausches mit der Bundewehr in Deutschland. Klein ist die Welt, so denke ich mir in diesem Moment - mögen noch so viele Welten zwischen den beiden Ländern liegen.

 

Mit unzähligen Eindrücken fliege ich zurück. Bitterarm sind die Menschen, keine Frage, auch in all jenen Faktoren, die die UN zum Unglücklichsein zählt, wie Lebenserwartung und soziale Unterstützung. Reich aber beispielweise an Improvisation, Fröhlichkeit, Höflichkeit und Respekt. Es ist offensichtlich, dass das eine nicht das andere kompensiert. Es ist ein Reichtum, von dem uns manchmal etwas in Deutschland fehlt, so finden einige, von diesem kann man bloß schwer etwas abgeben. Bei finanziellem Reichtum ist dies anders."

 

Jonas Klein

 

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